Der zweite Teil der Türkei-Kolumne wurde von unserem ersten Gastautoren Markus Mitrovski geschrieben. Markus ist Leiter Research und stellvertretender Leiter Portfoliomanagement und Handel bei der AMF Capital AG. Durch unterschiedliche Tätigkeiten in der Finanzbranche, bspw. als Portfoliomanager im Bereich der Unternehmens- und Mittelstandsanleihen, bereichert Markus Main Value mit geballter Expertise insbesondere in Bezug auf die Rentenmärkte.
Die Türkei in der Krise – wo liegen die Probleme und welche Lösungsansätze bestehen?
An den internationalen Kapitalmärkten geht mal wieder die Panik um. In den vergangenen Monaten wurde die Unruhe an den Märkten durch die Regierungsbildung in Italien oder dem immer weiter eskalierenden Konflikt zwischen den USA und China respektive Europa getrieben. Doch dieses Mal befindet sich der Brandherd in der Türkei. Die türkische Währung hat seit Jahresbeginn massiv abgewertet. Doch was sind die Ursachen dafür und wo liegt der Ausweg aus der Krise?
Wirklich neu sind die Probleme der Türkei nicht, denn das Land weist seit langer Zeit ein Handelsdefizit auf – die Türkei importiert mehr Waren als sie exportiert. Der Konsum der Türken ist also größer als die Produktion im eigenen Land. Im Jahr 2016 lag das Defizit noch bei 33,1 Mrd. USD und ist in 2017 auf 47,3 Mrd. UDS angewachsen. Folglich erhöhen sich die Schulden des Landes gegenüber dem Rest der Welt zunehmend. Gleichzeitig wurde das Wirtschafswachstum kreditfinanziert. Hier liegt ein Haushaltsdefizit vor, welches als Zwillingsdefizit bezeichnet wird.
In einer Zeit des Null-Zins-Zyklus stellt ein solcher Zustand erst mal keine direkte Bedrohung dar, denn Investoren sind auf der Suche nach Renditen und dafür bereit höhere Risiken in Kauf zu nehmen. Problematisch wird das Ganze erst dann, wenn das Zinsniveau sicherer Investments steigt und im Gegenzug risikoreiche Assets nicht mehr adäquat entlohnt werden. Dieses Szenario macht eine Umschichtung des Kapitals für Investoren attraktiv. Raus aus dem Risiko und rein in die sicheren Anlagen!
Schaut man sich den Realzins an, dann wird es besonders klar: Zu Beginn des Jahres wiesen 10-jährige Staatsanleihen, die auf Lira begeben wurden, eine Rendite von 11,4 Prozent auf. Dem gegenüber stand jedoch die Inflationsrate von knapp 12 Prozent. Folglich lag ein negativer Realzins vor und das in einem Land der politischen Instabilität.
Um etwas gegen die immer stärker steigende Inflationsrate – aktuell bei knapp 16 Prozent – zu unternehmen, müsste die Notenbank den Leitzins erhöhen. Jedoch liegt hier das nächste Problem vor, denn Erdogan bezeichnet Zinsen als „Mutter und Vater allen Übels“ und will die Wirtschaft unter allen Umständen am Laufen halten. Für eine unabhängige Notenbank ist es nicht von Belangen was der Präsident von Zinsen hält, denn ihre Aufgabe ist die Preisstabilität. In der Türkei gestaltet sich dies allerdings nicht so einfach, denn Erdogan hatte bereits vor seinem Wahlsieg angekündigt, einen stärkeren Einfluss auf die Geldpolitik der türkischen Notenbank nehmen zu wollen. Zu Zinserhöhungen ist es daher auch nicht gekommen und viele Investoren fragen sich, wie unabhängig die Zentralbank in der Türkei wirklich ist und wie weit die Inflation noch ansteigt. Aus diesem Grund ziehen Investoren zunehmend Kapital aus dem Land ab. In der Folge kommt es zu einer immer stärkeren Abwertung der Lira. Zeitgleich steigt die hohe Staatsverschuldung gegenüber dem Ausland weiter an und damit werden auch die Probleme des Landes vergrößert. Der Konflikt mit den USA war daher nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Doch was sind die Möglichkeiten der Türkei, um der Krise zu entkommen?
Ein sehr schmerzhafter Weg wäre, nichts gegen diesen Zustand zu unternehmen und die Währung ihren Boden finden zu lassen. Die Inflation würde weiter ansteigen, genauso wie die ausländischen Schulden. Es würde einen verstärkten Druck auf einheimische Unternehmen und Banken ausüben und damit die perfekte Bühne für eine Rezession bieten.
Eine Möglichkeit wäre, beim Internationalen Währungsfonds anzuklopfen. Der IWF ist bereits Argentinien zur Hilfe geeilt, um das Land zu stützen. Das Problem hierbei ist, dass diese Hilfe ihren Preis hätte. Erdogan würde bei seiner Entscheidungsfreiheit, folglich in seiner Macht, deutlich eingeschränkt werden. In mehreren Statements hat Erdogan bereits deutlich gemacht, dass er diesen Weg nicht gehen möchte.
Hilfe aus Europa würde sich ebenfalls anbieten, schließlich ist hier immer noch die Flüchtlingskrise in aller Munde und muss gelöst werden. Ein neuer Deal zwischen Europa und der Türkei wäre daher denkbar, jedoch würde Europa aus einer klaren Position der Stärke heraus verhandeln. Der Preis hier könnte in einer Freilassung von politischen Gefangenen sowie der Einhaltung von Menschenrechten liegen. Wäre das überhaupt im Sinne von Erdogan?
Ein sehr wichtiges Signal würde die türkische Notenbank mit einer Zinserhöhung setzen. Zwar würde dies das Wirtschafswachstum bremsen, doch wäre es ein klares Signal an den Märkte. Die Zentralbank tut das, was nötig ist, um gegen die Inflation vorzugehen und wahrt ihre Unabhängigkeit. Das Vertrauen der Investoren würde zum Teil wiederhergestellt werden und gleichzeitig wären Maßnahmen eingeleitet, um die Inflation einzudämmen. Für ausländische Kapitalgeber wären Investitionen in der Türkei dadurch auch wieder attraktiver.
Wie auch immer der Weg der Türkei aussehen wird – ein Umdenken von Erdogan wäre zwingend erforderlich, um das Land aus der Gefahr einer anbahnenden Staatspleite zu steuern.